Die Kartoffelesser, Vincent van Gogh, 1885

Bauern-, Arbeiter-, und Bürgertum im Jahr 1885

Rurales und bourgeoises Leben um 1885

  • Vincent van Gogh zeigt uns das Arbeitermilieu
  • Albert Anker das Bauerntum und
  • Carl Holsoe das Bürgertum

Die Industrialisierung in Europa ist in vollem Gange. Die Produktion wird enorm gesteigert und bringt viele Vorteile. Diese rasante Entwicklung bringt Wohlstand für viele, sagenhafter Reichtum für wenige und teils unkontrollierte Ausbeutung der armen, ungebildeten Bevölkerung, die in den Fabrikationshallen arbeiten.

Die Kartoffelesser, Vincent van Gogh, 1885
Die Kartoffelesser, Vincent van Gogh, 1885, Öl auf Leinwand 82x114cm, Van Gogh Museum, Amsterdam

Die Kartoffelesser

Dieses fantastische Bild von van Gogh berührt mich besonders:
Es zeigt die Bescheidenheit, Armut und Einfachheit der Land-oder Arbeiterbevölkerung um 1885.

Diese kleine Gemeinschaft von Menschen sitzt in einem Raum, beinahe so dunkel wie in einem Untertag-Stollen. Ihre Kutten und Röcke sind düster, keine Farbe erhellt ihr Leben. Die Frau rechts (die Mutter?) ist sichtlich erschöpft und geprägt vom harten, anstrengenden Leben der Bauern oder Fabrik-Arbeiter. Die beiden Männer schauen sie besorgt an, einer streckt ihr seine Kachel hin zum Auffüllen, denn sie ist gerade dabei, ein dunkles Gebräu in die Trinkschalen zu verteilen. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einen Kaffee-Ersatz für arme Leute: Eichel -, Zichorien-oder Malz Getränk, bestimmt kein Kaffee oder Schwarztee, denn der war unerschwinglich für diese Leute.

Laut einem Brief, den van Gogh an seinen Bruder schrieb, handelt es sich bei den Leuten um die mit ihm befreundete Familie de Groot.

Van Gogh schreib:

„das Bild spricht also von ihrer Hände Arbeit und davon, dass sie ihr Essen ehrlich verdient haben.“ 

Das Essen besteht aus Kartoffeln, sonst scheint da nichts Weiteres vorhanden zu sein.
„Geschwellte“ Kartoffeln essen wir ja bekanntlich gerne mit Butter und/oder Käse, aber hier ist davon nichts zu sehen.
Sie alle sind von der Arbeit gezeichnet. Wie viel Mühsal steckte wohl dahinter, bis diese karge Mahlzeit überhaupt auf den Tisch kam? Wir in unserer westl.- zivilisierten Welt des 21. Jahrhunderts können uns ein solches Leben schlicht nicht mehr vorstellen.

Van Gogh zeigt uns in vielen seiner Gemälde das harte Leben und Leid der einfachen Menschen. Er hielt die Farben bedeckt und in dunklen Erdtönen, womit uns eine schwermütige Stimmung, ja sogar gewissermassen die Ausweglosigkeit der Portraitierten vermittelt wird.

Im 19. Jahrhundert breitete sich die Industrialisierung von England auf das restliche Europa aus. Damit ging ein drastischer Umbruch in der Gesellschaft von statten, der nicht nur Fortschritt, sondern für einen grossen Teil der Bevölkerung auch negative Auswirkungen zur Folge hatte. Parallelen sehen wir bei der fortschreitenden Globalisierung des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Auch da gibt es viele Verlierer neben den Gewinnern.

Während der industriellen Revolution mussten die Arbeiter/innen und auch Kinder bis zu 15 oder mehr Stunden pro Tag in den Fabriken schuften, wo übelste Bedingungen vorherrschten. Zu wenig Licht, staubige Luft, Lärm, wenig und eher ungesunde Nahrung und zu lange Arbeitszeiten führten zu Krankheiten wie Rachitis, Lungenproblemen und Mangelerscheinungen (Es gab keine Krankenversicherung, keine SUVA, keine Sozialwerke, keine Lohnausfallversicherung, keine AHV oder sonst irgendwelche Unterstützung).

Immerhin gab es nun Arbeit und Lohn. Die Löhne waren jedoch so niedrig, dass die Leute kaum davon leben konnten. Die Zustände entsprachen jenen, die wir teils in Ländern der heutigen 3. Welt noch vorfinden.

Korb mit Kartoffeln, Van Gogh
Korb mit Kartoffeln, Van Gogh, Öl auf Leinwand, 40×60,5 cm
Museum Van Gogh, Amsterdam

1885

Das Bild ist so dunkel, dass man denkt, Van Gogh habe an Depression gelitten: alles Schwarz, bis auf ein paar braune und hellbraune Farbflecken, dank denen die Kartoffeln und der Korb überhaupt erst sichtbar werden.

Auch dieses Bild geht einem ans Herzen. Hier sieht man die Vorratshaltung.
War das alles, was noch übrig blieb am Ende eines harten Winters? Im Dunkeln gelagerte, kläglich geschrumpfte Kartoffeln, die für die Mehrheit der Bevölkerung damals das Grundnahrungsmittel war.

Es berührt mich besonders, weil die Schlichtheit dieses Stillebens in krassem Gegensatz zu gemalte Stillleben anderer Künstler steht, bei denen es nicht üppig genug sein konnten: Fasane, Trauben, Speck , Fische, Brote, Käse, Wein etc. , alles in schönen Farben.

Die Kartoffeln spielten ja im 19. Jahrhundert eine grosse Rolle in der europäischen Ernährung. Seit dem sie eingeführt wurden aus Südamerika und im Laufe der Zeit auch in Europa angepflanzt werden konnten, waren sie ein Segen für die ärmliche Bevölkerung, die sich Getreide kaum leisten konnte. Aber gerade diese Euphorie über die Kartoffel führte bei Missernten (Fäulnis durch Nässe, Einfall der Kartoffelkäfer) zu schlimmen Hungersnöten, weil viele Bauern im nördlichen Teil Europas den Fehler begingen, nur noch Kartoffeln anzupflanzen (sie wuchsen schnell, waren billig und nahrhaft).

Ich bin immer wieder froh, dass es in allen Zeiten Künstler gab, deren Werke/Gemälden uns ihren eigenen Zeitgeist vor Augen führen. Dank ihnen erhalten wir eine detaillierte Wiedergabe der Lebensweise und Bedingungen ihrer Epoche. Sie verschaffen uns Einblick in vergangene Welten.

Die beiden folgenden Bilder sind ebenfalls Abbild der damals überall anzutreffenden harten Lebensumstände der armen Bevölkerung:

Weber, van Gogh
Weber am Webstuhl, van Gogh, 1884
miners-wives-carrying-sacks-of-coal-1882
miners-wives-carrying-sacks-of-coal, van Gogh, 1882

Noch vor der Zeit seiner Karriere als Maler, die 1880 begann, arbeitet van Gogh als Hilfsprediger in einem belgischen Steinkohlerevier. Er identifizierte sich in hohem Maße mit dem Schicksal der Bergarbeiter, die unter besonders harten Bedingungen lebten. Er verschenkte Kleidungsstücke, vernachlässigte sein Äußeres und lebte in ärmlichsten Verhältnissen. Die oben gezeigten Bilder sind wahrscheinlich Erinnerungen an jene Zeit.

Die Veränderung der Landschaft durch wachsende Städte und die überall entstehenden Fabriken, die mit ihren ununterbrochen rauchenden und stinkenden Schloten die Luft verpesteten, sind van Gogh nicht entgangen. Obwohl er sich nicht politisch äusserte, ist bekannt, dass er sich eher als Sozialisten sah, der sich für die Armen einsetzen würde, was nicht erstaunt, da er selbst Zeit seines Lebens sehr arm war. Er verzweifelte fast an der Tatsache, dass seine Gemälde damals keinen Anklang bei Käufern fanden.

Besonders bei den „Kartoffelesser“ sieht man, wie grob er gemalt hat. Mit seiner neuen Art der Pinselführung hatten die Betrachter der damaligen Zeit grosse Mühe.

Bilder zur Industrialisierung

das_Eisenwerk_in_den_Haag
das_Eisenwerk_in_den_Haag, van Gogh, 1882, Gouache auf Tusche

Diese dunklen Bilder van Goghs entstanden während seiner Zeit in den Niederlanden. Mit seinem Wegzug nach Paris/Frankreich und der dortigen Begegnung mit den französischen Malern des Impressionismus hellten sich auch seine Bilder auf und erlangten nicht selten eine farbintensive Leuchtkraft.

Fabriken in Asnière, van Gogh,
Fabriken in Asnière, van Gogh, 1887

Die vielen stinkenden Fabriken waren auch in Frankreich vorzufinden.

Albert Anker und das Leben auf dem Land (Bauerntum und Dorfgemeinschaft)

Zur selben Zeit, als van Gogh in den Niederlanden die düsteren Bilder des Bauern- und Arbeiterlebens malte, hielt auch der Schweizer Albert Anker Szenen aus dem Alltag mit seinem Pinsel fest.
Er zeigt uns Menschen und Szenen vom Dorf-Alltag und Bauernhof.
Die Farben sind ebenfalls eher düster gehalten, aber trotzdem sehen wir hier Lieblichkeit. Keines Falls empfinden wir diese Bedrücktheit wie bei van Gogh. Es strömt uns Geborgenheit und Liebe aus den Familien- und Kinder-Darstellungen entgegen.

Als Vergleich zu van Goghs Kartoffelessern könnte man Anker’s Bild „die kleine Kartoffelschälerin“ herbei ziehen, denn da werden auch die Kartoffeln als wichtiger Bestandteil der Ernährung in Szene gesetzt.

Die-kleine-Kartoffelschaelerin
Die-kleine-Kartoffelschaelerin, Albert Anker, 1886

Es wird nichts idealisiert und doch empfinde ich Anker’s Bilder als heiterer. Es lastet ihnen nicht diese Schwere an, die wir bei van Gogh’s dunklen Bildern spüren.
Wie fein und detailgetreu Albert Anker diese Szene gemalt hat! Dies gilt als Malerei des „Realismus“.

Mädchenbildnis, Albert Anker
Mädchenbildnis, Albert Anker

Ist dieses Bild des Mädchen mit der selbstgemachten Kette aus Hagebutten nicht allerliebst? Ich finde es grossartig, dass Anker uns dieses Detail präsentiert.

Carl Holsoe (1863-1935) und das Bürgertum

Holsoe wurde nur 10 Jahre später als van Gogh und 32 Jahre später als Anker geboren. Er malte also ungefähr zur gleichen Zeit wie van Gogh (1853-1890) und Anker (1831-1910).

  • Seine Lieblingsmotive waren Interieurs. Mit und ohne Personen.
  • Er arbeitete auch viel mit braunen und weissen Tönen.
  • Bei ihm erhalten wir Einblick in die Wohnräume des gehobene Bürgertums. Hier präsentiert sich uns eine ganz andere
  • Klasse/Volksschicht als bei Van Gogh und Anker.

Bei Holsoe trifft man Klaviere, Gemälde in Goldrahmen, kostbares Geschirr, weisse Tischtücher, feines Mobiliar etc.

Bei Van Gogh’s Szenen der oben gezeigten Bilder leiden die Menschen unter der Last der Arbeit, bei Holsoe haben die vorwiegend weiblichen Personen Zeit für Musse und schöne Beschäftigungen: Frauen und Mädchen stricken, lesen, oder schauen einfach nur aus dem Fenster. Sie sind nie in Gesellschaft. Ob sie an Langweile oder Einsamkeit leiden, ist nicht ersichtlich. Es herrscht eine unglaubliche Intimität und Stille vor, aber es ist nicht voyeuristisch.

Kleines Mädchen, Holsoe
Kleines Mädchen, Holsoe

Bei Holsoes Bildern spürt man die Ruhe im Raum, aber auch wie konzentriert und hingebungsvoll die Personen ihre Beschäftigung ausüben.