das schwarze Quadrat, Kasimir Malewitsch, 1915, Bild aus de. wikipedia.org

Das schwarze Quadrat von 1915

Beginn und Ende des Suprematismus

  • 1915, 2 Jahre vor der russischen Revolution von 1917, malte der russische Künstler Kasimir Malewitsch sein 1. schwarzes Quadrat auf hellem Grund, dem noch weitere folgten. Damit wandte er sich radikal ab von allen Vorbildern.
  • 1915 präsentierte er das Bild auf der „Letzten Futuristischen Ausstellung 0.10“ und meinte dazu: «Die Gegenstände sind in Rauch aufgegangen, um eine neue künstlerische Kultur zu gewinnen.»

Heutzutage gilt dieses Bild in der Kunstgeschichte als eine der bedeutendsten Ikonen des 20. Jahrhunderts, denn Malewitsch, damals einer der wichtigsten Vertreter des Kubofuturismus, begründete damit die Stilrichtung des Suprematismus. Supremus ist Latein und hat verschiedene Bedeutungen : „das Höchste“, das „Wichtigste“, aber auch das „Letzte“, „Todestag“, „Todesstunde“, das „Schlimmste“, das „Erhabenste“.

Malewitsch wurde damit zur Hauptfigur der revolutionären Avangardekunst Russlands (1910-1930), die man heutzutage besser als ukrainische Avantgarde bezeichnen möchte auf Grund der Tatsache, dass Malewitsch aus der Ukraine stammt, welche ja ein eigener Staat ist.

Wer vor dem Bild «das schwarze Quadrat» steht und über keine Kunsthistorischen Kenntnisse verfügt, bleibt ratlos. Malewitsch nannte dieses Gemälde «Kultwerk».

Bei der Betrachtung eines Bildes suchen wir nach Inhalt, Ausdruck, Stimmung, Aussage/Interpretation, Schönheit Meditation oder doch mindestens nach Identifikation.

Das schwarze Quadrat gibt kaum Antworten. Es wirkt schon eher wie die berühmten schwarzen Löcher im All, die so geheimnisvoll herumspuken und von denen man gerade mal weiss, dass sie offenbar sämtliche Materie verschlucken, die in ihre Nähe kommen.

Ein schwarzes, monochromes, fast Rahmen füllendes Quadrat, dessen Seiten horizontal- vertikal ausgerichtet sind, das also nicht einmal Spannung erhält, in dem es auf dem Spitz stehen würde, ein solches Objekt kann einem leer lassen, weil es nichts auszusagen scheint und deshalb in uns keine Resonanz findet. Oder irritiert und verstört es gerade deshalb und regt damit unser Denken an?

Nun sind es gerade oft diejenigen Dinge, die sich einem nicht zu offenbaren scheinen, die die Gemüter am meisten anregen oder gar zu erhitzten Diskussionen führen.

Man kann also frisch drauflos interpretieren:

  1. Inhalt und Aussage: nüchtern betrachtet besteht ein schwarzes, monochromes Quadrat lediglich aus Lage, Abmessung und Farbe: in diesem Fall horizontal-vertikale Ausrichtung, 80x80cm Seitenlängen (inkl. Rand), schwarz
  2. Schönheit bietet ein schwarzes Quadrat höchstens den „Schwarz-Weiss“ Puristen. Heutzutage kann man sich ein solches sogar als Wohnungseinrichtung vorstellen, aber 1915!! , wo in den russischen Stuben „Muttergottes-mit-Kind“ Ikonen hingen, war das schon ziemlich krass.
  3. Zur Meditation eignet sich das schwarze Quadrat auch nicht unbedingt, denn dazu enthält es schon zu viel negativen Inhalt. Schwarz ist nicht die geeignete Farbe (Nichtfarbe) für eine gelungene Meditation, deren Ziel es doch ist, den Einstieg in höhere Sphären zu erleichtern, positive Ströme in uns frei zu setzen und uns dem Nichts/Nirwana oder gar der Erleuchtung näher zu bringen. Um solches zu erreichen, konzentrieren wir uns besser auf ein weisses, leeres Blatt .
    Schwarz ist die Farbe der Trauer, Hoffnungslosigkeit, des nicht enden wollenden Tunnels
  4. Hat «das schwarze Quadrat auf weissem Grund» eine symbolische Aussage?

Historischer Hintergrund:

1. Weltkrieges 1914-18/19

Die Kriegs-parteien:

Kriegs-Initianten/Agressoren:
Österreich-Ungarn mit Kriegserklärung an Serbien 1914,
Deutschland mit Kriegserklärung an Russland und Frankreich 1914.
Die Verbündeten der Aggressoren:  Osmanisches Reich und Bulgarien.

Gegenpartei

Russland und seine Verbündeten: Serbien, Frankreich und Grossbritannien, das gesamte brit. Weltreich, Belgien, Italien, Rumänien, Japan und USA.

Link zum Bild «Im guten August’s Wald» (1914) von Malewitsch:
http://www.kunstkopie.de/a/kazimir_severinovich_malevich/imgutenaugustswaldplakat.html

Nach einigen Anfangserfolgen gegen die Mittelmächte (Deutschland/Österr.-Ungarn) erlitt Russland mehrere schwere Niederlagen; Polen und das Baltikum gingen verloren.

Bereits 1905 kam es in Russland zu einer ersten Revolution gegen das unterdrückerische Zarentum. Der Zar reagierte darauf mit kleinen Reformen (Verfassung von 1906).

Am Anfang des Krieges 1914 waren die meisten Bauern noch regierungstreu. Der Zar stand im Bündnis mit Großbritannien und Frankreich (Triple Entente). Der ungünstige Kriegsverlauf liess die Versorgung der Zivilbevölkerung dramatisch verschlechtern, weshalb sich die Leute allmählich vom Zaren abwandten. Da Zar Nikolaus II weitere Reformen ablehnte und sogar die polizeiliche Überwachung der Bevölkerung ausweitete, nahmen die Proteste zu.

1915 war Russland in einen wüsten, erbarmungslosen Krieg verwickelt und das Volk lebte immer noch unter dem rigiden, ausbeuterischen und unfähigen Zarentum.

Die Februar-Revolution von 1917 brachte dann allerdings das Ende der Zarenherrschaft.
Wie es dazu kam:

1917 führten weitere Preissteigerungen zu einer katastrophalen Lebensmittelversorgung. Die Leute schritten zu Demonstrationen und Streiks. Diesmal weigerten sich die vom Zar befohlenen Soldaten auf die Demonstranten zu schiessen und verbündeten sich mit den Aufständischen. Damit wurde die russische Zarenherrschaft beendet. Der Zar musste abdanken.

Alexander Kerenski liess eine demokratische Republik als Provisorische Regierung ausrufen.

Die Oktober-Revolution 1917 führte zum kommunistischen System
Wie es dazu kam:

Deutschland unterstützte die Rückkehr Lenins aus dem Schweizer Exil nach Russland, weil damit die Lage in Russland weiter destabilisiert werden konnte. Lenin wollte den Krieg beenden und die neu eingesetzte, provisorische Regierung beseitigen, die in seinen Augen kapitalistisch und unfähig war.

Lenin und seine geistigen Brüder, die Bolschewiki, stürzten im Oktober 1917 in Petrograd (St.Petersburg) die provisorische Regierung und riefen die Machtübernahme der Sowjets (Kommunisten/Sozialisten) aus.

1918 ermordeten die Bolschewiki in Jekaterinburg die ganze Zarenfamilie (Romanoffs) wie auch deren Verwandte, um den Anhängern des Zarentums alle Idole zu nehmen.

Ist das schwarze Quadrat vielleicht ein Symbolbild für diese trost-und hoffnungslosen Zustände des russischen Volkes von 1915?
  • -Oder hat es gar nichts zu tun mit Politik und sozialen Umständen?
  • -Suchte die Kunst einfach neue Wege?

Die Zeit war reif dafür. Überall versuchten sich Künstler vom althergebrachten und bourgeoisen Darstellen vom Realen zu lösen. Avantgarde – die künstlerische Revolution – war in vollem Gange.

Malewitsch wollte mit dem Suprematismus die bildende Kunst zum Nullpunkt führen:
Ein schwarzes Quadrat ist ein schwarzes Quadrat, nicht mehr und nicht weniger.
Alle Farben sind darin vorhanden und verschmelzen zu Schwarz.
Er löste die Farbe vom Inhalt, damit sich ihre eigene Energie entfalten kann.

Mit dieser gegenstandslosen Welt erreichte er den totalen Bruch mit der bestehenden Kunstdoktrin, die die Darstellung der gegenständlichen Natur erforderte.
Material, Form und Farbe im Suprematismus repräsentieren nichts!
Die reine Empfindung kommt zum Ausdruck.

Ziel war auch, dass diese Kunst sich nicht mehr politisch oder sozial instrumentalisieren lassen sollte.

Link zum Bild «Der schwarze Kreis»: http://www.kunstkopie.de/a/kazimir_severinovich_malevich/schwarzerkreis.html

1915 konnte sich die russische Kunst mit dem Suprematismus zum ersten Mal als etwas Eigenständiges, von europäischen Vorbildern Unabhängiges etablieren.

Diese „nicht-objektiven“ Bilder kündete Malewitsch 1915 in seinem berühmten Manifest „Vom Kubismus zum Suprematismus“ an.
Bereits 1913 malte er das Bild „Schwarzer Kreis“.
Diese radikale Stilrichtung fand dann als genuin russische Erfindung bald auch ihre Vertreter/Nachahmer im Westen,
wo Künstler ja seit längerem die Abstraktion erprobten. Der Transfer verlief also ausnahmsweise vom Osten in den Westen und beeinflusste nicht zuletzt sogar den Konstruktivismus in Südamerika oder die Minimal Art von Donald Judd.

Aber die Bolschewiki vereinnahmten diesen revolutionären Kunststil für ihre Zwecke und erhoben den Suprematismus zur Kunst der Revolution. Sie sahen darin ein Mittel zur Volkserziehung und zur Neugestaltung der Gesellschaft.
Und schon wieder war die Kunst instrumentalisiert. Das widersprach dem Anspruch von Malewitsch, der die Meinung vertrat, Kunst solle nicht nützlich sein, sondern frei von jedem Zweck.

Interessant ist die Formensprache des Suprematismus: Reduktion auf geometrische Formen, vorwiegend Kreis, Kreuz, Quadrat, Balken sind die Hauptfiguren. Die Formen, die im Suprematismus verwendet werden, sind nicht „natürlich“. Sie sind vom Menschen konstruiert.

Das Quadrat kommt in der Natur nicht vor, weder im Makro- noch im Mikrokosmos und auch nicht auf atomarere Ebene. Bisher einzige Ausnahme ist das Bakterium Haloquadratum walsby, gefunden 1980 von Walsby im sehr salzigen Milieu eines Pools auf der Sinai Halbinsel (Aegypten). Diese Zellen sind aussergewöhnlicher Weise quadratisch.

Links zu Suprematismus Bildern von Malewitsch:

http://www.kunstkopie.de/a/kazimir_severinovich_malevich/kmalevichsuprematism-2.html

http://www.kunstkopie.de/a/kazimir_severinovich_malevich/suprematismus.html

Viele russische Künstler wandten sich vom Suprematismus ab und folgten den Forderungen der Bolschewisten. Sie verbanden Kunst, Wissenschaft und Technologie zur neuen Stilrichtung „Konstruktivismus.“ In der neu zu ordnenden und aufzubauenden Sowietrepublik war „Konstruktion“ etwas vom Wichtigsten.

Bereits zu Beginn der Stalinzeit fiel Malewitsch in Ungnade mit seiner avangardistischen Kunst. Unter dem Druck des Regimes kehrte er ca 1920/21 zur gegenständlichen Malerei zurück, die vorwiegend seine geliebte Landbevölkerung zeigte, die unter der neuverordneten Zwangskollektivierung litt. Obwohl die Bilder bunt und folkloristisch sind, zeigen sie deutlich, was Malewitsch empfand: die Leute wurden zu Gesichts-und sprachlosen Gefangenen des brutalen, verbrecherischen Systems.

Link zu Bildern von Malewitsch:

«Kopf eines Bauern»: http://www.kunstkopie.de/a/kazimir_severinovich_malevich/kopf-eines-bauern-1.html

«Bauer auf dem Feld»: http://www.kunstkopie.de/a/kazimir_severinovich_malevich/baueraufdemfeld.html

Mit dem von Stalin 1932 verordneten Verbot aller Kunstrichtungen kam es zum abrupten Ende des Suprematismus in Russland. Die Künstler standen nun ganz unter der Doktrin des Staates und hatten einen propagandistischen Auftrag.
Die strengen Vorschriften des Stalin Regimes, die auch rigoros kontrolliert wurden, liessen viele Künstler in den Westen auswandern, solange dies noch möglich war. (z.Bsp. Wassily Kandisnky nach Berlin.

Während der Stalinzeit wurde Malewitsch verfolgt und vergessen. 1935 verstarb er verarmt.

Guter Bericht zur Doppel-Ausstellung «Lang lebe die Revoultion – die Revolution ist tot» 2017 im Kunstmuseum Bern und
Zentrum Paul Klee:
https://www.nzz.ch/feuilleton/russische-revolution-in-der-schleudertrommel-des-weltgeistes-ld.1287055

Guter Bericht zur multiethnischen Region Russland
https://www.nzz.ch/feuilleton/hereinbrechende-raender-1.18354557